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Impressionen vom Kindersommer

Reise nach Weißrussland und in die Ukraine vom 17. bis 23. März 2005

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Pünktlich um sechs Uhr startet unser Flugzeug in Nürnberg. Nach einer Zwischenlandung in Paris kommen wir kurz nach zehn Uhr Ortszeit (11 Uhr unserer Zeit) in Kiew an. Mit dem Bus geht es weiter zum Bahnhof in Kiew.

Ständige Lautsprecherdurchsagen, meine mangelhaften Russischkenntnisse und die Tatsache, dass die Bahnangestellte die Stadt Elsk nicht kennt, machen den Fahrkartenkauf schwierig. Nach etwa zwanzig Minuten und mit der Hilfe einer weiteren Fahrkartenverkäuferin haben wir die Fahrkarten doch noch bekommen. Erstaunlich ist, mit welcher Geduld die Reisenden hinter uns gewartet haben. Keiner schimpft oder wechselt an einen der anderen Schalter. Wir sind eben nicht mehr in Deutschland.

Bis zur Abfahrt unseres Zuges sitzen wir erst einmal für Stunden im Bahnhof in Kiew. Da in den Nachfolgestaaten der UdSSR lange Bahnreisen üblich sind, haben die Bahnhöfe alle große Wartehallen mit gemütlichen Sitzplätzen. Es gibt auch genügend Verkaufsstände, an denen allerlei leckere Sachen angeboten werden. Das macht den langen Aufenthalt erträglich. Gegen 23 Uhr geht die Reise weiter nach Korosten, wo wir um ein Uhr Morgens ankommen.

Wieder haben wir fünf Stunden Wartezeit bis zur Weiterfahrt unseres Zuges nach Elsk. Im Wartesaal warten vor allem ältere Frauen mit Säcken voller Steckzwiebeln auf die Weiterfahrt nach Weißrussland. Wir kommen mit ihnen ins Gespräch und erfahren, dass sie Händlerinnen sind und die Zwiebeln in Weißrussland verkaufen wollen. Eine der Frauen bietet Margit großzügig ihr aus Säcken und Tüchern gemütlich hergerichtetes Plätzchen zum Schlafen an. Ich setze mich mit einem alten Mann an den einzigen Tisch am Kiosk und verbringe die Wartezeit mit Teetrinken. Der Wartesaal füllt sich mit den Gerüchen der Reisenden und der Zwiebel. Kurz vor Abfahrt des Zuges kommt Bewegung in die Wartenden. Wir sind erstaunt, wie viele Säcke mit Zwiebeln auf einmal aus allen Ecken herausgeholt werden.

Im Zug werden wir von mehreren Frauen (Schmugglerinnen) gefragt, ob wir Süßigkeiten oder Wodka für sie mit über die Grenze nehmen können. Den Wodka übernehmen wir gerne. Süßigkeiten haben wir selbst sehr viele dabei und machen uns schon Gedanken darüber, ob uns diese so kurz vor dem Ziel noch abgenommen werden. Nach etwa einer Stunde Fahrt nähern wir uns der ukrainisch-weißrussischen Grenze. Grenzpolizisten und Zöllner steigen zu. Die Zöllner nehmen den Zug auseinander. Teile der Verkleidung des Wagens werden abgeschraubt und die Hohlräume dahinter mit Taschenlampen ausgeleuchtet. Unsere Mitfahrerin im Abteil muss ihr gesamtes Gepäck vorzeigen. Uns wird immer unbehaglicher. Und dann sind wir an der Reihe. Der Grenzpolizist nimmt unsere Pässe und … spricht uns auf Deutsch an. Er war als Soldat in der Nähe von Rostock stationiert. Er fragt nur kurz, ob das unser Gepäck ist, und das war es auch schon.

Kurz nach neun Uhr morgens kommen wir in Elsk an. Dort werden wir schon von Vika und Varja, ihren Familien und von Swetlana erwartet. Es ist sehr kalt und der Schnee liegt etwa zwanzig Zentimeter hoch. Wir werden zunächst in der Wohnung von Vikas Familie untergebracht. Im Wohnzimmer ist schon der Tisch gedeckt und wir müssen erst einmal essen und trinken. Danach verwandelt sich das Zimmer in unser Schlafzimmer. So wird das während der nächsten Tage immer sein. Die vierköpfige Familie teilt sich das kleine Schlafzimmer. Wir beide bekommen das große Wohnzimmer. Das ist Weißrussische Gastfreundschaft!

Am Nachmittag verwandelt sich unser Schlafzimmer wieder zum Wohnzimmer und wir lernen auch Vikas Tanten, Onkeln und Nachbarn kennen. Da wir die ersten Gäste aus Nürnberg in Elsk sind, ist das Interesse an uns groß. War der Tisch am Morgen schon reichlich gedeckt, so wird das jetzt noch übertroffen. Beide Familien tun alles, um uns zu verwöhnen. Bis in die Nacht hinein sitzen wir gemütlich zusammen, reden, essen und trinken. Nach „weißrussischer Tradition” wird (mindestens) dreimal mit selbst gebranntem Wodka angestoßen. Das hebt die Stimmung, beeinträchtigt allerdings die für das Übersetzen notwendige Konzentration. Doch trotz mancher Verständigungsprobleme ist die Stimmung ausgezeichnet.

Am nächsten Morgen machen wir einen Stadtrundgang durch Elsk. Zunächst werden Margit mit einem Pelzmantel und ich mit einer Strickmütze ausgestattet. Alles Protestieren hilft nichts. Doch schon vor dem Haus sind wir froh über die Fürsorge unserer Gastgeber. Es hat zwar nur sieben Grad unter Null, die gefühlte Temperatur ist durch den immer stark wehenden Wind jedoch viel kälter. Die Straße 50-Jahre-UdSSR ist eine ganze Trabantenstadt mit lauter Hochhäusern. Davon getrennt liegt in geringer Entfernung die Altstadt von Elsk. Neben vielen alten Holzhäusern und der über zweihundert Jahre alten Holzkirche gibt es auch viele moderne Zweckbauten. Das Kulturhaus, vor dem eine riesige Lenin-Statue steht. Das Warenhaus, die Apotheke, das Rathaus, die Bank, das Kino, das Restaurant und einige Geschäfte. Trotz der bissigen Kälte kaufen unsere Gastgeber Eis und wir lutschen im Gehen an unseren Eiswaffeln. Auch das ist typisch für Weißrussland! Sehr interessant ist der Markt der Stadt. Das Warenangebot dort ist vielfältiger als in den Geschäften und die Preise sind günstiger. Die privaten Händler sind eine große Konkurrenz für die staatlichen Geschäfte. Auch Vikas Familie kauft am Markt ein.

Nach dem Spaziergang sind wir bei Vikas Tante zum Kaffeetrinken eingeladen. Den Abend verbringen wir in gemütlicher Runde bei den Nachbarn, essen und pflegen die „weißrussische Tradition”.

Am nächsten Vormittag besuchen wir die Kinder, für die uns die deutschen Gasteltern Briefe mitgegeben haben. Immer wieder werden wir zum essen und trinken eingeladen.

Am Nachmittag gehen wir in die Schule Nummer zwei in Elsk. Swetlana führt uns im ganzen Schulhaus herum und stellt uns dem neuen Direktor (ihrem Mann) vor. Mit wenig finanziellen Mitteln und viel Engagement wird an den Baumängeln gearbeitet. Vor allem der Schulsaal ist in einem schlimmen Zustand. Aber der Direktor ist ein findiger Mann. Zum Beispiel lässt er mit den Speiseresten aus der Mensa einige Schweine füttern, mit deren Verkauf er die Reparaturarbeiten finanziert. In der Schule ist es nur mäßig warm. Auch in Weißrussland ist Energie teuer. Daher tragen Lehrer und Schüler auch im Unterricht warme Sachen. Für uns interessant ist der Handarbeitsunterricht. Aus Stoffen und mit Naturmaterialien machen die Kinder die schönsten Handarbeiten.

Zum Abendessen sind wir bei Swetlana zu Hause eingeladen. Swetlana ist eine gute Köchin. Jeder bekommt ein Töpfchen mit Fleisch und Gemüse. Dazu (zum ersten Mal) weißrussisches Bier und natürlich auch Wodka. Leider bin ich durch das viele Essen schon so satt, dass ich auf die Blini (Pfannkuchen) zum Nachtisch verzichten muss.

Inzwischen wurden unsere Sachen von Vikas Familie in die Wohnung von Varjas Familie gebracht, wo wir ab jetzt wohnen. Auch hier ist das Wohnzimmer für uns freigemacht, während die vierköpfige Familie sich das Schlafzimmer teilt.

Tags darauf haben die Familien Autos organisiert und wir machen gemeinsam einen Ausflug in die 35 Kilometer entfernte Kreisstadt Mozyr. Wir besuchen die katholische Kirche, das Gagarin-Denkmal, den Kulturpark und den zentralen Platz der Stadt mit einer noch imposanteren Lenin-Statue, als in Elsk. Wir schlendern am Fluss Pripjat entlang, essen Piroggen mit Fleischfüllung und besuchen mehrere Geschäfte und den Markt. Trotz der warmen Kleidung sind wir danach völlig ausgekühlt und freuen uns schon auf unser warmes zu Hause. Zum Kaffetrinken sind wir wieder bei Nachbarn eingeladen. Abends sitzen wir gemütlich mit der Familie zusammen und unterhalten uns gut.

Am nächsten Morgen dann ein weiterer Höhepunkt unserer Reise. Wir besuchen Varjas Großeltern in Rosa-Luxemburg. Die freundlichen Großeltern tragen Walenki (Filzstiefel) und bäuerliche Tracht. Das Bauernhaus in dem kleinen Dorf ist ganz aus Holz gebaut. Das Wasser wird aus dem Brunnen vor dem Haus geholt. Haus, Hof und sogar der Schweinestall sind so sauber, wie wir es noch nirgends sonst gesehen haben. Um das Haus liegt kniehoch der Schnee. Im Haus ist es erstaunlich warm. Der Kachelofen, auf dem man im Winter auch schläft, verbreitet eine behagliche Wärme. Das Haus und die Einrichtung erinnern uns an ein Bauernhof-Museum. So haben wir uns Weißrussland vorgestellt! Und auf dem Tisch steht alles, was Großmutter aus einem Schwein selbst hergestellt hat: Braten, Sülze, Wurst und natürlich Speck, der hervorragend zur „weißrussischen Tradition” passt. Und zum Schluss stellt die Großmutter noch ein „Kascha” (Hirsebrei) auf den Tisch, das mir noch heute unvergessen ist.

Am Nachmittag besuchen wir zwei Naturdenkmäler: Die „schwarze Birke” und einen „Mutanten”, einen Nadelbaum mit fünf Giebeln. Auch am Denkmal für den großen vaterländischen Krieg (2. Weltkrieg) kommen wir vorbei. In der Zwischenzeit haben die beiden Familien das Abschiedsessen für uns vorbereitet. Wieder steht der Tisch voller Köstlichkeiten. Vika und Varja bestätigen uns später, dass während unseres Besuchs ähnlich gefeiert worden ist, wie bei einer Hochzeit. In lustiger Gesellschaft verbringen wir unseren letzten Abend in Weißrussland. Inzwischen kann ich sogar schon - wie es Brauch ist - einen Trinkspruch zur „weißrussischen Tradition” aussprechen.

Nach einer kurzen Nacht begleiten uns die Erwachsenen zum Bahnhof, wo gegen zwei Uhr unser Zug nach Kiew abfährt. Mit ausreichend Reiseproviant versehen treten wir die Rückreise an. Wieder werden wir von Grenzpolizei und Zoll sehr höflich behandelt. Nach ein paar Tagen Zwischenstopp in der schönen Stadt Kiew kommen wir wohlbehalten und mit vielen guten Erinnerungen wieder in Nürnberg an.

Margit und Michael Guggenmos
Nüssleinweg 3a
90455 Nürnberg
Tel.: 09129-3352